Augen auf im Straßenverkehr!

Rubrik: Recht allgemein
Ausgabe: Apr. 2023

Der Oberste Gerichtshof befasste sich mit einem Fall, in dem ein Verkehrsteilnehmer auf einer Landesstraße mit einem quer auf der Straße liegenden Baumstamm kollidierte. Dieser Baumstamm war kurz zuvor im angrenzenden Waldstück abgebrochen und über eine Böschung auf die Fahrbahn der Landesstraße gerollt. Der Verkehrsteilnehmer – es handelte sich um einen Motorradfahrer – konnte nicht mehr rechtzeitig abbremsen. Im gerichtlichen Verfahren wurde erhoben, dass der Lenker des Motorrads die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nicht überschritten, aber die Sichtbedingungen aufgrund Sonneneinfalls nicht angepasst hatte, sodass er trotz eingeleiteter Notbremsung eine Kollision mit dem Baumstamm auf der Fahrbahn nicht mehr verhindern konnte. Der Motorradfahrer kam zu Sturz und trug Verletzungen davon. Am Motorrad entstand Totalschaden. Der Motorradlenker begehrte Schmerzengeld sowie Schadenersatz für diverse Sachschäden und die Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden. Die Eigentümerin des Motorrades begehrte Schadenersatz für den Totalschaden des Fahrzeugs.

MotorradfahrerGemäß § 1319 ABGB haftet derjenige, dessen Sache jemanden verletzt oder sonst einen Schaden verursacht, wenn das Schadensereignis die Folge der mangelhaften Beschaffenheit der Sache ist und der Eigentümer der Sache nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe.

Im darauffolgenden Gerichtsverfahren wurde der Lage der Waldparzelle und der Beschaffenheit des abgebrochenen Baums Augenmerk geschenkt: so wurde die Neigung des Waldgrundstücks zur Landesstraße hin als „stark abgeböscht mit etwa 50 Grad bis 60 Grad Neigung“ beschrieben. Zum ursprünglichen Standort des Baumes wurde festgestellt, dass dieser 14,5 m zum Straßenrand hin entfernt eingepflanzt war. Dessen Baumstamm wies Borkenkäfer- und Kupferstecherbefall vor. Die Baumrinde war abgelöst, was jedoch nicht die Holzsubstanz in Mitleidenschaft zog und auch für den Bruch des Baumstammes nicht kausal war. Der Baumstamm brach ab, da die Holzsubstanz im unteren Teil des Stammes durch Fäuleerreger zersetzt wurde. Der betroffene Baum war eine Rotkiefer und bei dieser Baumart kann der Befall von Fäuleerregern weder aus größerer Entfernung erkannt werden, noch durch Besichtigung aus der Nähe. Um zu beurteilen, ob die Holzsubstanz des Baumstammes intakt ist, bedürfte es einer Bohrung. Im Gerichtsverfahren kam zu Tage, dass es in der Forstwirtschaft weder üblich ist, solche Bohrungen auf Verdacht hin vorzunehmen, noch dass Richtlinien oder Normen, die die Anzahl von allfälligen Sichtkontrollen eines Baumbestandes auf einer Waldparzelle regeln, bestehen. Im gerichtlichen Verfahren kam zur Sprache, dass das Forstrecht es sogar zulässt, abgestorbene Bäume nicht zu entfernen, da diese Insekten, Vögel und Pilzen als Lebensraum dienen können.

Die Klage wurde vom Erstgericht gänzlich abgewiesen. Dagegen setzten sich die beiden Kläger mit Berufung zur Wehr. Die Berufung wurde abgewiesen. Für das Berufungsgericht stellte sich die Frage, ob die Kontrolle von Bäumen, die nicht gegen ein etwaiges Abrutschen gesichert sind und in gefahrengeneigten Bereichen (steiles Gelände in Richtung Straße) befindlich sind, auch Bohrungen im Stammbereich mitumfasst. Dieser Frage maß das Berufungsgericht eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

Die dagegen erhobene Revision an den Obersten Gerichtshof führte zu der Entscheidung vom 30.6.2022, 9Ob28/22s. Der OGH wies auf die Bestimmung des § 176 Abs 2 Forstgesetz 1975 hin, wonach den Waldeigentümer und dessen Leute sowie sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen und deren Leute grundsätzlich keine Pflicht zur Abwendung der Gefahr von Schäden, die abseits von öffentlichen Straßen und Wegen durch den Zustand des Waldes entstehen könnten, trifft. Die zuvor genannten Personen sind insbesondere nicht verpflichtet, den Zustand des Waldbodens und dessen Bewuchses so zu ändern, dass dadurch solche Gefahren abgewendet oder vermindert werden. Der OGH wies auf § 176 Abs 4 Forstgesetz 1975 hin: in dem Fall, dass der Zustand eines neben einer Weganlage befindlichen Waldes einen Schaden am Weg verursacht, haften der Waldeigentümer und sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen und deren Leute keinesfalls strenger als der Wegehalter selbst. Der Oberste Gerichtshof wies dabei auf bereits bestehende Judikatur hin, wonach wegen dieser ausdrücklichen Spezialbestimmung die Haftung auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt ist und der Waldeigentümer bei erkennbar gefährlichem Zustand von Bäumen entlang öffentlicher Straßen und Wege sorgsam sein muss (6 Ob 21/01h; 3 Ob 102/19z ua).

Der OGH verneinte eine grobe Fahrlässigkeit der Waldeigentümer, aus deren Parzelle der Baumstamm auf die Fahrbahn abrollte. Dies begründete er damit, dass äußerlich nicht erkennbar war, dass der abgebrochene Baumstamm an seiner Holzsubstanz geschädigt gewesen wäre. Weiters begründete er seine Entscheidung damit, dass eine Bohrung auf Verdacht hin in der Forstwirtschaft unüblich ist und es einer Bohrung zur Prüfung, ob die Holzsubstanz des Baumstammes intakt ist, nicht bedurfte.

Vor der nun herannahenden Motorrad- und Fahrradsaison mahnt dieser Fall, dass man auf neben Waldgrundstücken befindlichen (Freiland-)Straßen trotz Einhaltens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und unter Beachtung der Licht- und Witterungsverhältnisse Hindernisse auf der Fahrbahn nie gänzlich ausschließen kann – sei es ein durch Wind oder Regen abgebrochener Ast, ein Tierkadaver oder Wildwechsel.

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