Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten

Rubrik: Sozial- und Arbeitsrecht
Ausgabe: Sep. 2023

Arbeitnehmer mit Behinderungen unterliegen einem speziellen arbeitsrechtlichen Schutz, welcher im Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) festgelegt wird. Das Ausmaß und die Reichweite des Schutzes sind vom Grad der Behinderung abhängig. Während etwa der Diskriminierungsschutz allen Behinderten zugutekommt, wird im Bereich des Beendigungsschutzes nach dem Grad der Behinderung differenziert.

Rollstuhl_BueroBeträgt der Grad der Behinderung mindestens 50%, so handelt es sich bei dem betroffenen Arbeitnehmer um einen begünstigten Behinderten. Eine Kündigung dieses Arbeitnehmers ist dann in der Regel nur noch möglich, wenn der beim Sozialministeriumsservice eingerichtete Behindertenausschuss der Kündigung zustimmt. Fehlt die Zustimmung, welche in bestimmten Fällen auch nachträglich eingeholt werden kann, so ist die Kündigung rechtsunwirksam und das Arbeitsverhältnis ist weiterhin aufrecht. Neben diesem formellen Kriterium zeichnet sich der Kündigungsschutz auch dadurch aus, dass eine Zustimmung zur Kündigung nur bei Vorliegen bestimmter im BEinstG aufgezählter Kündigungsgründe erteilt werden darf. Die Anwendung des besonderen Kündigungsschutzes ist jedoch nicht gegeben, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch nicht länger als 4 Jahre bestanden hat, es sei denn, die Feststellung der Begünstigteneigenschaft erfolgt innerhalb dieses Zeitraums, wobei während der ersten 6 Monate nur die Feststellung der Begünstigteneigenschaft infolge eines Arbeitsunfalls diese Rechtsfolge auslöst.

Überschreitet der Grad der Behinderung nicht das Ausmaß von 50%, so kann das Arbeitsverhältnis ohne weitere formelle und materielle Voraussetzungen gekündigt werden. Nur dann, wenn das Motiv einer Kündigung in der Behinderung zu suchen ist, kann eine Kündigung bei Gericht angefochten werden.

Die Frage, ob es sich bei einem Arbeitnehmer um einen begünstigten Behinderten handelt oder nicht, ist somit für Arbeitgeber von entscheidender Bedeutung.

Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt die letzte rechtskräftige Entscheidung über die Einschätzung des Grades der Behinderung (§ 14 Abs 1 BEinstG) eines Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung bzw eines Gerichts, eines Landeshauptmannes gemäß Opferfürsorgegesetz oder in Vollziehung der landesgesetzlichen Unfallfürsorge.

Die Feststellung des Grades der Behinderung im Nachweis gilt nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung. Die Zugehörigkeit erlischt jedoch mit Ablauf des dritten Monats, der dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung folgt, sofern nicht der begünstigte Behinderte innerhalb dieser Frist gegenüber dem Sozialministeriumsservice erklärt, weiterhin dem begünstigten Personenkreis angehören zu wollen.

In einem aktuellen Urteil des OGH (OGH 25.1.2023, 8 ObA 76/22t) war eine Arbeitnehmerin vom 8.6.2020 bis 15.5.2021 beschäftigt. Am 23.3.2020 wurde über Antrag der Arbeitnehmerin ein unbefristeter Behindertenpass mit 26.3.2020 ausgestellt. Einen weiteren Bescheid erhielt sie nicht. Das Sozialministeriumsservice bestätigte nach Antragstellung der Arbeitnehmerin die Begünstigteneigenschaft mit Bescheid vom 15.6.2020, dass sie ab 15.6.2020 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre. Strittig war, ob die seitens des Arbeitgebers ohne Befassung des Behindertenausschusses am 11.4.2021 ausgesprochene Kündigung wirksam war.

Anders als die Vorinstanzen wies der OGH die Klage der Arbeitnehmerin ab. Unstrittig verfügte die Arbeitnehmerin bei Beginn des Dienstverhältnisses nicht über einen Bescheid des Sozialministeriumsservice, sondern nur über einen von derselben Behörde ausgestellten Behindertenpass. Nach § 40 BBG ist Menschen mit einem Grad der Behinderung von mind. 50% auf Antrag ein Behindertenpass auszustellen. Dem Behindertenpass kommt aufgrund einer Gesetzesnovelle ab 12.8.2014 Bescheidcharakter zu und kann mit Beschwerde angefochten werden. Ein rechtskräftig zuerkannter Behindertenpass erfüllt somit alles Voraussetzungen des Wortlauts des § 14 Abs 1 lit a BEinstG. Die gegenteilige Rechtsansicht der Vorinstanzen, die von einer Nichterwähnung des Behindertenpasses in § 14 BEinstG ausgegangen sind, kann sich zwar auf die Rechtsprechung des VwGH zur Ausgleichstaxe stützen, doch bezog sich diese Rechtsprechung auf Sachverhalte, die jeweils vor dem Inkrafttreten der Neuregelung des BBG gelegen waren.

Der Arbeitnehmerin wurde der Behindertenpass mit Datum vom 26.3.2020 ausgestellt. Eine Beschwerde wurde nicht erhoben. Bei Beginn des Dienstverhältnisses am 8.6.2020 waren die Wirkungen des § 14 Abs 1 BEinstG begründet. Durch ihren am 15.6.2020 – und damit jedenfalls vor Ablauf des dritten Monats – gestellten Antrag auf Ausstellung eines Bescheides nach § 14 Abs 2 BEinstG hat die Arbeitnehmerin gegenüber dem Sozialministeriumsservice auch erklärt, weiterhin dem Kreis der begünstigten Behinderten angehören zu wollen. Dies führt zu dem Ergebnis, dass die Begünstigung der Arbeitnehmerin lückenlos aufgrund der Rechtskraft ihres Behindertenpasses aufrecht war und bei Begründung des Arbeitsverhältnisses bereits bestanden hat. Damit lag innerhalb der ersten 4 Jahre des Arbeitsverhältnisses noch kein besonderer Kündigungsschutz vor und die am 11.4.2021 ausgesprochene Kündigung war rechtswirksam.

In einem kurz danach veröffentlichten Urteil (OGH 17.3.2023, 9 ObA 130/22s) ging es um einen Arbeitnehmer, welcher seit 9.4.2018 Inhaber eines Behindertenpasses war. Mit Bescheid vom 25.2.2020 stellte das Sozialministeriumsservice aufgrund eines Antrags des Arbeitnehmers vom 24.2.2020 fest, dass der Kläger ab 24.2.2020 zum Kreis der begünstigten Behinderten gehört. Der Arbeitnehmer war ab dem 7.1.2020 in einem Arbeitsverhältnis tätig und wurde am 8.2.2022 ohne Zustimmung des Behindertenausschusses gekündigt. Der OGH verweist zunächst auf die bereits besprochene Entscheidung, nach welcher ein Behindertenpass alle Voraussetzungen des Wortlauts des § 14 Abs 1 lit a BEinstG erfüllt. Zu beachten ist jedoch, dass die Rechtswirkung eines entsprechenden Bescheides mit Ablauf des dritten Monats, der dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung folgt, erlischt, sofern nicht der begünstigte Behinderte innerhalb dieser Frist gegenüber dem Sozialministeriumsservice erklärt, weiterhin dem begünstigten Personenkreis angehören zu wollen. Es hängt daher von der Disposition des Behinderten ab, ob er eine dauerhafte Zugehörigkeit zum begünstigten Personenkreis wünscht. Der Behindertenpass wurde am 9.4.2018 ausgestellt und trat mit Ablauf der Beschwerdefrist von 6 Wochen in Rechtskraft. Da der Arbeitnehmer nicht binnen 3 Monaten ab Rechtskraft eine Erklärung, weiterhin dem begünstigten Personenkreis angehören zu wollen, abgab, war die Zugehörigkeit zum begünstigten Personenkreis mit Ablauf der Dreimonatsfrist und noch vor Beginn des Arbeitsverhältnisses am 7.1.2020 erloschen. Der Antrag auf Zugehörigkeit wurde vielmehr erst am 24.2.2020 gestellt. Nach Ablauf der ersten 6 Monate war der Arbeitnehmer daher nur mit Zustimmung des Behindertenausschusses kündbar.

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