Unternehmenskrise und deren Früherkennung

Rubrik: Finanzen und Betriebswirtschaft
Ausgabe: Sep. 2022

Bis ins Jahr 2019 hinein schien die wirtschaftliche Welt den gewohnten Systematiken zu folgen. Auch wenn bereits Grenzen des Wachstums erkennbar waren und überhitzte Märkte eine bevorstehende Abkühlung anzeigten, so schien doch alles in bester Ordnung zu sein. Doch der Schein trog. Überhöhte Staatsverschuldung und eine abnehmende Konsumneigung veranlassten viele Wirtschaftsteilnehmer zur Annahme, dass wirtschaftlich schwierige Zeiten bevorstehen würden. Anzeichen von Rohstoffknappheit, Arbeitskräftemangel und Finanzierungsschwierigkeiten insbesondere für KMU waren klare Hinweise darauf, dass irgendetwas nicht stimmte.

Verzweifelter-Mann-haengt-an-FensterkanteAls Anfang des Jahres 2020 die COVID-19-Pandemie ausbrach, traf diese überwiegend bereits geschwächte Unternehmen. Dieses wirtschaftliche Umfeld stellte seit dem ersten Lockdown im März 2020 viele Unternehmen vor noch nie dagewesene Herausforderungen. Viele konnten sich nicht oder nicht rechtzeitig auf die neue Situation einstellen oder waren aufgrund einer schon zuvor bestehenden wirtschaftlich angespannten Situation nicht in der Lage, die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Doch dann geschah das Unglaubliche: der Staat intervenierte in einer noch nie da gewesenen Form und unterstützte die Unternehmen mit Milliardenbeträgen. Sogar Insolvenzantragspflichten wurden ausgesetzt, um den Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern.

Die Insolvenzstatistiken in Österreich zeigten in den vergangenen Jahren einen rückläufigen Trend an Neuantragsstellungen. Auch im Jahr 2018 zählte Österreich noch zu einem der wenigen Länder, die rückläufige Insolvenzen (um ca 2%) verzeichneten. Dieser Trend war in erster Linie auf die niedrigen Zinsen zurückzuführen, von denen vor allem die schwachen und hoch verschuldeten Unternehmen profitierten.

Die Insolvenzstatistik des KSV1870 aus dem Jahr 2021 zeigt nicht zuletzt aufgrund der COVID-Beihilfen erneut einen Gesamtrückgang der Unternehmensinsolvenzen im Vergleich zum Jahr 2019 iHv 40%. Dabei sank die Zahl der nichteröffneten Insolvenzverfahren (mangels kostendeckenden Vermögens) ebenfalls um ca 38%. Rund 40% aller Unternehmensinsolvenzen wurden im 4. Quartal 2021 verzeichnet. Dies entspricht in etwa dem Ergebnis vom 4. Quartal 2019 und zeigt erstmalig seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie eine Entwicklung auf „Vor-Krisen-Niveau“.

Diese Entwicklung ist vor allem auf die auslaufenden Staatshilfen zurückzuführen sowie aufgrund dessen, dass das österreichische Finanzamt und die österreichische Gesundheitskasse wieder Insolvenzanträge stellen. Pandemiebedingt wurden das österreichische Finanzamt und die österreichische Gesundheitskasse nämlich dazu angehalten, zeitweise keine Insolvenzanmeldungen zu veranlassen, die in der Regel aber rund 50% aller Insolvenzanmeldungen ausmachten.

Während im Jahr 2020 trotz des Rückgangs der Unternehmensinsolvenzen die Passiva in den Insolvenzverfahren im Vergleich zum Jahr 2019 um 80% auf rund € 3 Mrd angestiegen sind, sind die Passiva im Jahr 2021 auf € 1,8 Mrd bzw auf fast die Hälfte gesunken. Auch wenn die Passiva der im Jahr 2020 insolvent gewordenen Commerzialbank Mattersburg – die drittgrößte Insolvenz der österreichischen Geschichte – iHv € 800 Mio weggerechnet werden, wird dennoch ein Rückgang iHv rund 22% (ohne die Großinsolvenz der Commerzialbank) verzeichnet. Dies lässt sich aus dem Rückgang von Großinsolvenzen erkennen.

Eine genauere Analyse der österreichischen Insolvenzen zeigt, dass gewisse Branchen aufgrund der Eigenart der jeweiligen Unternehmen (zB Kapitalintensität) und der Grundgesamtheit von Unternehmen besonders hervortreten.

Eine Branche, die eine Insolvenzneigung aufweist und dementsprechend häufig am oberen Ende der Liste anzutreffen ist, ist die von der KSV1870 genannte Branche der „unternehmensbezogenen Dienstleistungen“. Darunter fallen insbesondere Servicebetriebe, Liegenschaftsunternehmen und alle Holdingunternehmen. Im Jahr 2021 verzeichnete diese Branche im Vergleich zu den Vorjahren zwar nicht die meisten Insolvenzfälle (537 Insolvenzfälle), aber die höchsten Insolvenzverbindlichkeiten (€ 569 Mio). Ein massiver Anstieg wurde im Jahr 2021 in der Bauwirtschaft verzeichnet, die ebenso im Vergleich zum 4. Quartal 2019 (also vor der COVID-19-Pandemie) um 9% mehr Insolvenzfälle aufwies. Im Gegensatz dazu wird ein deutlicher Rückgang der Insolvenzfälle in der holzverarbeitenden Industrie im Vergleich zu 2019 iHv –44% und in der Freizeitwirtschaft iHv –31% verzeichnet.

Die neuesten Prognosen für das Jahr 2022 zeigen, dass von zahlreichen Institutionen mit dem Auslaufen der staatlichen Hilfspakete zwar ein Anstieg der Insolvenzen in Richtung Vor-Krisen-Niveau aber kein plötzlicher Insolvenzausbruch erwartet wird. Darüber hinaus wird auch mit vermehrten Liquidationen gerechnet, bei denen aufgrund von mangelnden werthaltigen Aktiva eine erfolgreiche Sanierung nicht möglich sein dürfte. Wie sich allerdings die COVID-Krise mittel- bis langfristig auswirken wird, ist noch nicht abschätzbar. Auf die österreichische Wirtschaft werden allerdings herausfordernde Zeiten zukommen und in vielen Fällen werden Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen sein.

In den Medien wird aktuell wieder vermehrt von Insolvenzen und von Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten berichtet. Grund für die vermehrte Berichterstattung ist die gegenwärtige Instabilität der Wirtschaft. In diesem Zusammenhang fallen die in der Öffentlichkeit meist negativ behafteten Begrifflichkeiten wie „Unternehmenskrise“ oder „Sanierung“. Doch ist eine Unternehmenskrise oder eine Unternehmenssanierung per se stets negativ zu betrachten oder kann diese auch als Chance gesehen werden, etwas zu ändern?

Eine Unternehmenskrise ist niemals wünschenswert, doch wenn eine solche eintritt, wird diese oft als Indikator für Veränderungen wahrgenommen, mit dem Ergebnis, dass das betroffene Unternehmen wieder in die Gewinnzone zurückgeführt werden kann, Arbeitsplätze geschaffen/gesichert werden können und die Wirtschaft dadurch gestärkt wird. Somit kann eine Unternehmenskrise auch als Chance gesehen werden.

Die Unternehmenskrise bezeichnet im betriebswirtschaftlichen Kontext eine Situation, in welcher der Unternehmensfortbestand gefährdet und die Existenz des Unternehmens bedroht ist. Eine Krise kann sich schleichend entwickeln (Regelfall) oder aufgrund von außerordentlichen, nicht vorhersehbaren Ereignissen entstehen (zB COVID-19-Pandemie).

In der Praxis werden Ursachen und Symptome einer schleichend verlaufenden Unternehmenskrise meist erst dann erkannt, wenn sich das Unternehmen bereits im fortgeschrittenen bzw im Endstadium einer Krise befindet. Eine fortgeschrittene Unternehmenskrise ist zwar schwerer zu beheben, bedeutet aber nicht zwangsläufig ein Scheitern des Unternehmens.

Eine Unternehmenskrise wird in sechs Krisenstadien unterteilt, die aber keiner Gesetzmäßigkeit folgen und sich meist überschneiden. Eine Unternehmenskrise durchläuft im Regelfall

Wenn keine geeigneten Maßnahmen getroffen und eingesetzt wurden, um auf diese Krisenstadien zeitgerecht zu reagieren, gelangt das Unternehmen früher oder später in das Stadium einer Insolvenz. Für die Erstellung eines adäquaten Sanierungskonzepts ist die Feststellung der Krisenstadien und der Krisenursachen wesentlich. Hierbei wird für die getreue Darstellung der aktuellen Unternehmenssituation auf alle Informationsinstrumente zurückgegriffen, die der Unternehmensleitung bzw dem Berater vorliegen.

Erkennen von Krisensituationen und Krisenstadien

Es ist unabdingbar, die Krisenindizien zu erkennen und richtig zu deuten. Hierfür wurden zahlreiche Hilfestellungen sowohl qualitativer als auch quantitativer Natur entwickelt. Diese reichen von betriebswirtschaftlichem Benchmarking bis hin zur regelmäßigen Beantwortung von kritischen Strategiefragen.

Wichtig ist, eine regelmäßige Analyse der quantitativen Daten in Hinblick auf die Ertrags- und Liquiditätslage über Monats- und/oder Quartalsberichte durchzuführen. In den Berichten wird in erster Linie darauf abgezielt, die wichtigen Erfolgskennzahlen und Steuerungsgrößen mit Vergleichswerten aus früheren Perioden, vergleichbaren Konkurrenzunternehmen und mit Planwerten zu vergleichen (Längs- und Querschnittsanalyse). Die Unternehmensleitung bzw der Berater soll sich anschließend kritisch mit dem Ergebnis auseinandersetzen und dadurch bereits eine erste Einschätzung über die operative Unternehmenslage erhalten.

Kennzahlen lassen sich in der Regel schnell errechnen, leicht interpretieren und gut über Zeiträume hinweg vergleichen. Dies trifft auch auf krisenindizierende Kennzahlen zu. Zu den wichtigsten Kennzahlen zur Identifikation einer Unternehmenskrise zählen die sog URG-Kennzahlen, Bilanzkennzahlen, Kennzahlen der Gewinn- und Verlustrechnung bzw Cashflow-Kennzahlen.

Bereits beim Verdacht auf eine Unternehmenskrise ist der Geschäftsführung anzuraten, kritische betriebswirtschaftliche Kennzahlen laufend, – je nach Krisenfortschritt – am besten auf Wochen- oder Monatsbasis, zu überwachen, um nachteilige Abweichungen schnell zu erkennen und zielgerichtet reagieren zu können.

Wenn sich herausstellt, dass sich ein Unternehmen in einer akuten Liquiditätskrise befindet, könnte die Insolvenzreife bereits gegeben sein oder kurz bevorstehen. Folglich ist unverzüglich ein Finanzplan aufzustellen, der die geplante Liquiditätsentwicklung inkl der Liquiditätslücke über zumindest 13 Wochen (= rund 3 Monate) darstellt. Ergibt sich daraus, dass bereits eine Liquiditätslücke > 5% vorliegt und kann die Liquiditätslücke in diesem Zeitraum nicht behoben werden, ist grundsätzlich von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen und bei sonst möglichen Haftungsfolgen ein Insolvenzantrag zu stellen. Ist die Liquiditätslücke absehbar, aber gegenwärtig noch nicht gegeben, liegt eine drohende Zahlungsunfähigkeit vor und es kann ein Sanierungsverfahren eröffnet werden. In beiden Fällen empfiehlt es sich neben wirtschaftlicher Beratung auch rechtliche Beratung beizuziehen.

Seite drucken | zurück