Im Juli des letzten Jahres wurden mit der „Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungs-Novelle“ (VRUN), BGBl I 85/2024, unter anderem das Konsumentenschutzgesetz und die Zivilprozessordnung geändert und das „Qualifizierte-Einrichtungen-Gesetz“ erlassen. Damit wurde die Verbandsklagen-Richtlinie der Europäischen Union Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung, um den Schutz von Konsumenten und die Durchsetzung ihrer Verbraucherinteressen zu verbessern.
Bisher mussten Konsumenten ihre Klagsansprüche vor Gericht entweder einzeln geltend machen oder haben ihre Ansprüche einem Verband oder etwa einem Prozessfinanzierer abgetreten. Seitdem die VRUN in Kraft ist, umfasst die Zivilprozessordnung Bestimmungen über „kollektive Rechtsverfolgung“. Nunmehr können „Qualifizierte Einrichtungen“ für eine Mehrzahl von Konsumenten in einem sogenannten Verbandsklageverfahren als Kläger auftreten, um die Unterlassung (Beendigung und Verbot) eines rechtswidrigen Verhaltens eines Unternehmens zu verlangen.
Solche Einrichtungen sind die Wirtschaftskammer Österreich, die Bundesarbeiterkammer, der Österreichische Gewerkschaftsbund, Der Österreichische Landarbeiterkammertag, die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, der Österreichische Seniorenrat und der Verein für Konsumenteninformation. Es ist aber auch möglich, dass andere juristische Personen, die nach österreichischem Recht errichtet sind, vom Bundeskartellanwalt mit Anerkennungsbescheid als „Qualifizierte Einrichtungen“ bestellt werden, um in Österreich oder grenzüberschreitend tätig zu werden. Zuvor werden diese juristischen Unternehmen „durchleuchtet“: ihre Satzung muss beinhalten, dass sie ein legitimes Interesse am Schutz der Verbraucherinteressen haben, ihre Finanzierung und Unabhängigkeit wird geprüft. Solche juristischen Personen dürfen keinen Erwerbszweck verfolgen.
Die Aufsicht über die Qualifizierten Einrichtungen wird vom Bundeskartellanwalt ausgeübt, welcher auf seiner Webseite auch ein Verzeichnis dieser Einrichtungen veröffentlicht. Die Qualifizierten Einrichtungen selbst sind verpflichtet, auf ihren Webseiten Informationen über die anhängigen und abgeschlossenen Gerichtsverfahren zu veröffentlichen. So bringen Verbraucher in Erfahrung, ob Unternehmer ein rechtswidriges Verhalten gesetzt haben, das auch sie betrifft.
Die Verbandsklage kann darin bestehen, einen Unternehmer auf Unterlassung – also Beendigung und das Verbot des rechtswidrigen Verhaltens – zu klagen. Um eine breitenwirksame Information auch für andere Verbraucher, die sich der Verbandsklage nicht angeschlossen haben, zu erwirken, kann die Veröffentlichung des Gerichtsurteils oder der Erklärung des betroffenen Unternehmens begehrt werden. Ein großer Vorteil dieser Art von Klage ist, dass die Verjährungsfrist durch die Klagseinbringung bei allen betroffenen Verbrauchern bis zur Beendigung des Gerichtsverfahrens gehemmt ist.
Eine weitere Art der Verbandsklage ist die auf Abhilfe – etwa Schadenersatz, Rückzahlung, Kaufpreisminderung oder Umtausch – gerichtete Klage. Die Voraussetzung hierfür ist, dass mindestens 50 Verbraucher von einem im Wesentlichen gleichen bzw gleichartigen Sachverhalt oder Rechtsverstoß betroffen sind. In der Klage auf Abhilfe kann erklärt werden, dass weitere Konsumenten dem Verbandsklageverfahren noch beitreten können, wenn ihre Ansprüche gegen den Unternehmer auf gleichartigen Sachverhalten beruhen und sie ihre Ansprüche bislang weder im Inland noch im Ausland geltend gemacht haben. Deren Beitritt hemmt die Verjährungsfrist rückwirkend.
Unabhängig vom Streitwert ist für die Durchführung des Verbandsklageverfahrens das Handelsgericht Wien zuständig. Es ist nicht möglich, durch Parteienvereinbarung ein anderes Gericht für zuständig zu erklären.
In einem ersten Verfahrensschritt entscheidet das Gericht, ob auf der Grundlage der Klagsschrift ein Verbandsklageverfahren durchgeführt wird. Bejahendenfalls wird diese Gerichtsentscheidung auf der Webseite des Handelsgerichts Wien mit weitergehenden Informationen über das Verfahren und die Bedingungen, unter welchen weitere Konsumenten innerhalb von drei Monaten nach Veröffentlichung der Entscheidung dem Verfahren beitreten können, veröffentlicht. Einmal beigetreten, heißt es: mitgehangen, mitgefangen. Der Beitritt kann nicht mehr zurückgenommen werden.
Wenn die Qualifizierte Einrichtung oder der beklagte Unternehmer es verlangen, kann das Gericht in einem weiteren Verfahrensschritt über ein Recht oder Rechtsverhältnis, von dem der Verfahrensausgang abhängt, vorab ein Urteil fällen. Es besteht in diesem Stadium die Möglichkeit, dass die Qualifizierte Einrichtung und das beklagte Unternehmen einen Vergleich schließen. Dieser muss vom Gericht genehmigt werden und ist für alle auf der Klägerseite zusammengeschlossenen Konsumenten verbindlich. Gelingt ein solcher Vergleich nicht, so entscheidet das Gericht über die Ansprüche der einzelnen Konsumenten.
Aktuell ist laut Webseite des Handelsgericht Wien keine Verbandsklage anhängig. Jedenfalls stellt die Verbandsklage ein taugliches mit geringem finanziellen Einsatz verbundenes Mittel für die Konsumenten dar, um unerlaubte Praktiken zu beenden und Wettbewerbsverzerrungen wirksam zu begegnen. Ein Vorteil besteht darin, dass die Kosten für eine solche Klage für die Verbraucher überschaubar bleiben. Mehr als € 250,--
darf die Qualifizierte Einrichtung nicht verlangen. Ob die VRUN zum „Renner“ wird, wird sich weisen.